Kein Fest für NICHTS

Des hedd ned soi misse, hat meine Mutter so oft gesagt. Das wäre nicht nötig gewesen. Sie sagte das z.B., wenn ich eine "5" nach Hause brachte in Latein. Oder wenn die Frau ihres Bruders, genau: meine ungeliebte, weil aus Chile importierte Tante, schon wieder zu viel Geld für ein Paar neuer Schuhe verschwendet hatte.
Wenn ich sage: des hedd ned soi misse, rede ich von dem heute stattfindenden Oktoberfest der EKiD, der evangelischen Kirche in Deutschland. Und wenn ich jetzt so ein bisschen auf dem Protestantismus herumhacke, dann nicht, weil ich selber ein getaufter, konfirmierter und teiltheologiestudierter Ex-Protestant bin. Sondern weil ich als getaufter, konfirmierter und teiltheologiestudierter Ex-Protestant weiß, warum ich darauf herumhacke.
Bitte? Ich soll doch in drei Teufels Namen nicht die Gefühle aller frommen Christen verletzen (Protestanten sind ja nur im Hauptwaschgang gekochte und endgeschleuderte Katholiken)? Warum nicht? Vor ein paar Jahren hat mir mein leider schon lange gestorbener Freund Peter Maiwald in einem Bericht über die Trauerfeier für Hanns Dieter Hüsch geschrieben, dass da desöfteren "einige seiner atheistischen Gefühle" verletzt wurden. Nicht nur seinen, auch meinen diesbezüglichen Gefühlen passiert das bis heute noch oft. Und ebenso vielen tausend anderen Menschen. Und nicht nur die Gefühle, auch die Überzeugungen und so manches ganz normale Verhalten werden von Christen massiv attackiert. Nein! Natürlich gibt es auch Christen, die vernünftige, friedliche, menschenfreundliche und fortschrittliche Überzeugungen haben und ihre Ansichten auch deutlich vernehmbar äußern. Papst Franziskus z.B., gerade jetzt wieder, wenn er sich um Vermittlung in diesem höchst gefährlichen Konflikt zwischen den Trump-USA und dem Kim Jong-un von Nordkorea bemüht. Aber vielleicht ist das so nicht weil, sondern obwohl er der ranghöchste Katholik ist.
Konkrete Beispiele für meine Gefühlsverletzungen durch Christen? Gerne. Nur ein paar von ziemlich vielen. Die Ansichten und Vorschriften zur Sexualität. Der Machismus, seit Jahrhunderten praktiziert (und nur geringfügig gelegentlich hinterfragt oder durch Frauen wie Bischöfin Käßmann scheinbar überwunden - mehr darüber gibt es in einer Menge seriöser Artikel und Bücher). Der Antisemitismus. Womit wir wieder bei Luther wären und der 500-Jahr-Feier des Anschlags seiner Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg und damit auf die Ablasspraxis der katholischen Kirche jener Tage. Und so arg lange ist es nicht her, dass in seiner Denk-Nachfolge als Antisemit die Deutschen Christen im 3. Reich sehr schön aktiv waren.
Genug für jetzt. Dieser Text ist ja keine philosophische oder theo- oder sonstwie logische Abhandlung. Richtig: er ist das Ergebnis einer allzu langen persönlichen Leidensgeschichte, die heute noch ihre Spätfolgen hat, z.B. indem ich mich ständig ent"schuld"ige, selbst für ein plötzliches, meiner Befürchtung nach zu lautes Nießen. Weshalb mir - leider - manchmal die gewünschte und vernünftige Gelassenheit und Gleichgültigkeit fehlt, wenn ich ein solches Spektakel mitkriege wie das gerade in Wittenberg. Mit der Bundeskanzlerin als Festrednerin. Na gut, die schafft auch das.
Immerhin: in diesem Jahr ist der 31. Oktober ein gesetzlicher Feiertag in der ganzen Bundesrepublik. Dieser Beweis der strikten Trennung von Kirche und Staat führt mich zu der hoffnungsfrohen Erwartung, dass es bald noch eine ganze Reihe weiterer gesetzlicher Feiertage gibt, bundesweit. Nicht nur für die 26,5 % evangelischer Christen und die 28,5 % Katholiken. Sondern auch für die 55 % der anders orientierten Bundesbürger.
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Und siehe da - auch hier passt es:
Ceterum censeo Machismum esse delendum. (frei nach Cato dem Älteren) Auf gut deutsch: Ich denke übrigens, dass der Machismus endlich zerstört werden muss.

Wow!

Ich wusste gar nicht, dass man in der SPD NICHTS liest, und dass NICHTS eine ganz wichtige Rolle gespielt hat, auf dem neuen Weg der Partei nach oben (also prozentual gesehen). Ich habe mich gefragt, warum das so ist, dass sie in Niedersachsen so erfolgreich wurde und fand schnell die Antwort: Weil... Weil..., äh...

Na ist ja auch egal. Jedenfalls ist wieder Bewegung aufgekommen in der deutschen Politik. Martin Schulz verkündet jetzt mit neuer, wiederum ganz heftiger Zuversicherheit, dass er am Tag der Bundestagswahlen 2025 um 18 Uhr rufen wird, er sei Bundeskanzler. Ganz schnell wieder 5 cm nach links bewegt sich die tagesschau.de. Der Herr Steinmeier findet für seine nächste Rede noch bewegendere Worte als am Tag der deutschen Heimatfilme. Was sich aber vor allem und ganz unglaublich bewegt, das sind die Delegationen der drei - genauer: vier - Parteien auf dem Marsch in die "einzig denkbare" Koalition. Welche als "Jamaika" zu bezeichnen die Medien nicht müde werden, weil sie das so lustig und gleichzeitig so praktisch finden. Bis die neue Regierung zusammengerauft worden ist, kann ja noch ewig dauern, vielleicht bis zum 1. Advent oder dem 2. Weihnachtsfeiertag oder zu Pfingsten 2018.

Was allerdings kein Mensch - außer mir - weiß, das ist das wirkliche und so fröhlich stimmende Resultat, nämlich: die Verhandlungen der erwähnten Delegationen werden trotz dem überaus herzlichen Beginn natürlich scheitern (woran ist ja egal, Gründe gibt es genug). Seehofer wird das mit etwa 17 mal Hecheln bedauern und die Schuld den Grünen geben; die reichen sie weiter an die FDP und von da landet sie bei der CDU, die sie dann nicht mehr weiterschieben kann, sondern schmerzgepeinigt bei sich selbst sucht. Und findet sie bei - Angela Merkel! Die Kanzlerin ist, ohne es zu merkeln (bzw. zuzugeben) bereits angeschlagen und begeht erneut den Fehler, in aller Heiterkeit zu tun, als ob nichts wäre. Das Unvorstellbare wird Realität: die Intrige unter Führung von Jens Spahn führt zur Abwahl der Kanzlerin, sie wird mit dem Trost verabschiedet, als Nachfolgerin von Steinmeier Bundespräsidentin zu werden (nach dessen zweiter Amtszeit).

Als die SPD das alles mitkriegt, geht auch bei ihr das übliche solidarische und allein von Sachüberlegungen getragene Hauen und Stechen los. Die vielen Freunde und 3 oder 4 Freundinnen, die Martin Schulz sich mit seiner so erfolgreichen Arbeit gemacht hat, stimmen darin überein, dass er zwar Parteivorsitzender bleiben soll (Zustimmung 53,53 %), aber nicht mehr Kanzlerkandidat (101,8 %).
Die nunmehr erneut aufgenommenen Koalitionsverhandlungen, jetzt zwischen CDU/CSU und SPD führen schon zu Halloween 2018 zu einem epochalen Ergebnis: ab nun gilt das "altrömische Prinzip" des Konsulats, d.h. es gibt fortan zwei Kanzler. Also einer von der Union (die schlägt Dobrindt vor) und einer von der SPD (sie nominiert Steinbrück; Nahles ging leider nicht, Konsul konnte ja auch keine Frau werden).

Deshalb mein Kommentar: Wow! Mehr noch: Wow!Wow!

Da wir - mental - gerade im alten Rom waren, passt es diesmal besonders gut:
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Ceterum censeo Machismum esse delendum. (frei nach Cato dem Älteren) Auf gut deutsch: Ich denke übrigens, dass der Machismus endlich zerstört werden muss.

Auch ich… (#MeToo)

…gebe zu, dass ich in meinem langen Leben – mit zunehmendem Alter weniger, aber in der Summe allzu oft – Frauen gegenüber ein Macho-Verhalten gezeigt habe, leider nicht nur verbal. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Ich kann nur eine Art Wiedergutmachung versuchen, indem ich mich öffentlich dazu bekenne, und meine (Un-)Artgenossen dazu aufrufe, dies auch zu tun. Der aktuelle Fall Weinstein hat zu einem Dammbruch geführt. Es berichten nicht nur unzählige Frauen jeden Alters und aller Gesellschaftsschichten, was sie immer wieder erlebt haben und noch immer ständig neu erleben, von angeblich „harmlosen“ Anzüglichkeiten bis hin zu brutalen Vergewaltigungen. Es melden sich immerhin auch Männer zu Wort, leider in peinlich überschaubarer Zahl, mit dem Eingeständnis entsprechender Verhaltensweisen. Es trompeten aber – in viel, viel größerer Zahl und mit dummdreisten und rotzfrechen Kommentaren – schwanzstolze Testosteronprotze idiotische Rechtfertigungen durch die Medien.

Es ist zu wenig, dazu NICHTS zu machen. Dem, was ich hier sage, öffentlich zuzustimmen, wäre das Mindeste.

Die Wahlergebnisse…äh, ähm…

Ach du Schreck! Diese Bundestagswahlergebnisse! Nein, so ganz unerwartet ja nicht, aber trotzdem. Wochenlang habe ich Antworten gesucht - das Ergebnis: NICHTS. Meine Fragen sind geblieben. Wird die Bundesrepublik Deutschland jetzt auf einmal normal? Also europäisch, meine ich. Nähern wir uns z.B. italienischen Zuständen? Soll heißen: die Christdemokraten ausgeknockt (Horrovision der CDU: die Democrazia Christiana hatte mal 38,3 %, das war 1979, 1987 waren es noch 34 % und 1994 schließlich 11,07 %...); die kommunistische Partei (schon seit längerem irgendwie ziemlich sozialdemokratisch) existiert heute nur noch auf den Festen der Unità, also der italienischen UZ. Alles drängt zur Mitte, Centrodestra, Centrosinistra. In der Bundesrepublik ja auch: Mitte rechts, Mitte links, Mitte Mitte. Im Gedrängel nur noch schwer zu unterscheiden, wer wofür eigentlich steht, CDU, SPD, Grüne. Vielleicht noch die neue FDP, die transneoliberale Lindnerblütentruppe. Bitte? Die LINKE? Die schielt doch auch  verstohlen hin zur Mitte, schillerflüsternd: sie sei, man gewähre ihr die Bitte, im Bunde bei den Wahlen die dritte. 
Logische Folge: das naive Polit-Navi befiehlt: Nach rechts abbiegen. Dort ist sie ja schon, die europäische Internationale der Nationalisten, der FN, die Lega Nord, die 5Stelle, die Partij voor de Vrijheid, halb Ungarn, halb Polen und jetzt kommt auch die AfD dazu... Und die CSU.

Aber Ernst beiseite! Zu den Antworten auf die zeitlose Lenin-Frage WAS TUN gehört auch der Hinweis auf die tiefere Bedeutung, welche die Satire, der Scherz und die Ironie haben, in unseren Zeiten. In den USA haben den Emmy-Award 2017 gerade die Sendungen und Schauspielerinnen, Schauspieler und TV-Serien gekriegt, die Politik oder PolitikerInnen aufs Korn nehmen, nicht zuletzt diesen Donald Trump. Das Medienunternehmen Univision hat schon 2016 die US-Satire-Zeitschrift "The Onion" gekauft, weil ihr Chef gemeint hat, Satire werde immer wichtiger auf der politischen Ebene, "allein die Ironie erregt noch Aufmerksamkeit, z. B. bei dem Weg der Kandidaten zum Weißen Haus". Und die Böhmermann-Story hat das auch für die BRD zutage gebracht (wobei man über Stil und Geschmack der Satire streiten kann).

Wie wäre es z.B. mit einer Modenschau im Fernsehen, mit dem Sketch "Des Gaulands neue Kleider". Gut, ein Kaiser ist der Alexander nicht. Aber ihn nackt auf dem Schirm zu sehen, hilft vielleicht mehr als viele Worte gegen ihn als Zugpferd der AfD. Oder: wenn Alice Weidel in jeder Talkshow von den Moderierenden vor jedem Beitrag gefragt wird: "Wollten Sie nicht gerade wieder gehen?" Ein Beispiel, wie sowas funktionieren kann, hat gerade die HeuteShow geliefert: der AfD-Verbalnazi Höcke ist inzwischen als "Bernd" ein Runninggag in den Medien geworden.

Doch! Sowas kann funktionieren! Ein weiteres Beispiel: mein Lied "Du lässt dich gehn, ach SPD..." habe ich 1972 geschrieben und unverdrossen gesungen. Und siehe die Bundestagswahlergebnisse 2017...! Gut, sicher: nicht ich allein hab das bewirkt. Aber immerhin.

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Ceterum censeo Machismum esse delendum. (frei nach Cato dem Älteren) Auf gut deutsch: Ich denke übrigens, dass der Machismus endlich zerstört werden muss.
(Wie schön: ich stelle fest, dass die Zustimmung ständig zunimmt; selbst von Männern)