Leider NICHTS

LEIDER

Viele meiner treuen Leserinnen und Leser warten seit ewigen Zeiten auf NICHTS und wieder NICHTS. Die Zahl derer, die sich bei mir erkundigt – und zum Teil beschwert – haben, steigt rasant wie die Energiepreise. Bis heute habe ich mindestens 5, nach anderer Zählweise 7 solcher Anfragen erhalten! Das konnte ich nun nicht mehr ertragen. Hier deshalb wieder mal NICHTS. 

Woran es nun gelegen hat, diese lange Zeit des beharrlichen – und ungewöhnlichen – Schweigens? Es gibt doch so viele, viele Themen, die man sich als Satiriker oder mindestens als Ironiker vornehmen könnte. Von der Klimakatastrophe über das Ausscheiden der deutschen Fußballgrößen bei der WM in Katar bis zum neuen Verkehrsminister Wissing in der Ampelregierung. Aber genau das ist das Problem.

Ich stehe vor einer Triage. Vor einer satirischen Triage. Bei der medizinischen Triage liegen vor dem Arzt (oft natürlich auch vor der Ärztin) mehrere Menschen, schwerstverletzt, kurz vorm Tod. Und er (oder natürlich gegebenenfalls auch sie) muss entscheiden, wem zuerst geholfen werden soll, weil er die größte Chance hat zu überleben. Auch wenn dann einer der anderen stirbt. Ich dagegen stehe vor der Frage, welches der Themen am schnellsten vergessen wird. Also stirbt. Um das muss ich mich zuerst kümmern. Die anderen überleben und warten noch länger auf mich.

Mache ich mich verständlich? Ich will versuchen, meine Lage zu erklären. Der gerade erwähnte Wissing ist im Grunde ebenso bescheuert wie sein Vorgänger. Seine Ablehnung der Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen begründet er mit dem Mangel an Verkehrsschildern. Das ist ebenso lustig wie die Begründung von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht für die Lieferung von 5000 militärischen Schutzhelmen an die Ukraine. Dies sei „ein ganz deutliches Signal“, sagte sie, „Wir stehen an eurer Seite“. Beides ist aber ebenso im Orkus der Vergessenheit versunken, da regt man sich nicht mehr auf. Ich schon gar nicht.

Anders ist es bei den vielen weiteren Themen. Diese bemitleidenswerte CDU/CSU! Trotz ihre jeweiligen Alphatiere Merz und Söder! Oder gerade wegen der beiden? Und weit und breit kein Nachfolger in Sicht. Außer Jens Spahn (neeiiin!). Oder Armin Laschet. Nein, der nicht, der hat ja zu Recht ganz schnell den Rat seiner Influencer befolgt (Vorsicht: Kalauer!): Armin! Lasch et bleiben! Nachfolgerinnen gibt es ja schon lange nicht mehr. Wieso denn auch, 16 Jahre eine Frau an der Spitze, unglaublich, was diese Parteien die ganze Zeit ertragen haben – und dann trotzdem diese Wahl-Niederlagen in der letzten Zeit! Aber die Wahrscheinlichkeit dass die Union eingeht wie beispielsweise in Italien die Christdemokratie ist nicht sehr groß. Ich fände es auch schade. Heute muss ich also dazu nichts weiter zu sagen. Auch wenn es eine Menge gäbe.

Seit Jahrzehnten und gewiss für weitere Jahrzehnte erhalten bleibt mir auch die SPD. Mein Sehnsuchtslied für sie – „Du lässt disch gähn“ – hab ich 1972 geschrieben. Ich hab es zuletzt vor drei Jahren gesungen. Und es passt immer noch! Wie bei Helmut Schmidt wie bei Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier oder Heiko Maas. Deshalb meine zuversichtliche Überzeugung, dass die Partei mir noch viele Gelegenheiten bieten wird, mich zu beömmeln. Olaf Scholz gibt sich bereits viel Mühe, mir zu gefallen. Das geht schön so weiter, und wenn er dann wieder Oppositionschef ist, wird er jede mögliche Gelegenheit nutzen. Naja, muss nicht gleich die Schröder-Liga sein, es reicht, wenn er sich Sigmar Gabriel zum Vorbild nimmt *). Ich freu mich schon. Eben entdecke ich, dass ich diesen Text gerade noch rechtzeitig entdeckt habe. Es gibt ein weiteres sehr schönes Thema: definitiv abgelehnt hat Scholz bisher die Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern. Bin mal gespannt, wieviel Tage, wieviel Stunden es noch dauert, bis er mal wieder umfällt. Mit freundlicher Unterstützung von Robert Habeck (in den Nachrichten am Donnerstagabend). Und natürlich von Annalena. Und die einfachen Grünen haben ein weiteres Thema abzuarbeiten. Wo sie doch schon Lützerath wieder ganz ratlos macht, nachdem Harbeck dem Abriss zugestimmt hat.

Irgendwie müssen die Grünen übrigens mitgekriegt haben, dass ich mich so selten mit ihnen beschäftige. Nach einer längeren Diskussion im abgehobenen Promi-Kreis haben sie dann endlich angefangen, ebenfalls so richtig satirogen zu werden.

Am schnellsten geschafft haben das Annalena Baerbock und Robert Habeck. Als Vorsitzende einer Partei, die ihre Wurzeln unter anderem in einer Antikriegs- bzw. radikale Friedenspolitik hat, ebenso wie in der Forderung in ihrem Parteiprogramm, die Erosion der Rüstungskontrolle zu stoppen und neue Schritte auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt einzuleiten“. Und weiter: Keine deutschen Waffen in Kriegsgebiete und an Diktaturen: Die politischen Rüstungsexportrichtlinien werden lax gehandhabt.“ Kaum jemand sonst hat in der letzten Zeit so viele Plädoyers für ständig neue Waffenlieferungen geliefert wie Annalena Baerbock, und dann zudem überall hin, wo es gerade scheppert. Aber auch hier komme ich nicht weiter, es gäbe noch viel mehr lustige und weniger lustige Dinge zu berichten, besonders wenn man auch noch Robert Harbeck herbeibittet, mit seinen Argumentationen, im Stil ausschweifend, diffundierend wie Thomas Mann. Aber so wie es zurzeit aussieht, bleiben die beiden mir ebenso erhalten, wie beispielsweise der Porschist und Bank-Kumpel Christian Lindner.

Was uns ebenfalls weiterhin erhalten bleiben wird:

–  der Ukrainekrieg. Jahrelang wird er noch andauern, sagen die, die es wissen, weil nur die Ukraine gewinnen darf. Klar, mit weiterhin täglich tausenden von Toten und katastrophal verwundeten Überlebenden. Weil nach den sensationellen Gewinnen mit den gelieferten Waffen die Geschäfte mit dem Aufbau der zerstörten Städte, Dörfer und Fabriken kommen müssen. Weitere Riesenprofite sind zu erwarten. Und wir sind dabei! Nebenher kann dann ja in der Ukraine auch das eingerichtet werden, was bekanntlich immer noch nicht vorhanden ist, also vor dem russischen Überfall nicht vorhanden war, an Demokratie.

 – der Klimawandel. Weil sich die, die wirklich etwas tun könnten, das nicht wollen, mit der Begründung: alles schön und gut, auch wir möchten ja gern mitwandeln, aber so wie ihr euch das vorstellt, geht es einfach nicht. Zum Beispiel: so viele Straßenschilder wie ein Tempolimit… bitte? Ach ja, das sagte ich schon. Und die letzte Generation irrt sich, sie wird nicht die letzte sein. Auch wenn sich die jungen und mutigen Klimaaktivisten in 50 Jahren mit Kind und Kindeskind immer noch auf die Straßen kleben. Mindestens genau so fest, wie Politiker an ihren Sesseln. Ein weiteres Thema für Satiriker.

der weltweite Ruck nach rechts. In Italien haben sie es schon geschafft mit der Regierung Meloni. In Frankreich hat der Front National (inzwischen Rassemblement National) der Marine Le Pen bei den Parlamentswahlen im Juni die Anzahl seiner Abgeordneten verzehnfacht. Großbritannien gibt sich erfolgreich Mühe, mitzuhalten. Die USA stehen vor der schwer vorstellbaren Situation, dass Figuren an die Macht kommen, gegen die Trump noch ein Sugarbaby war. Auch in Deutschland: die AfD rutscht immer weiter nach rechts in die weit geöffneten Arme des Björn Höcke. Und die Zahl ihrer Wähler/innen nimmt zu. Die Reichsbürger, Querdenker und ihre Kameraden sind durch die kürzliche Aktion nicht verschwunden, sie werden auch nicht ablassen von Ideen und Plänen, wie sie die schreckliche Demokratie in Deutschland beenden können; notfalls mit Gewalt. 

–  auch eher scheinbar kleinere Skandale verschwinden nicht dadurch, dass nach und nach immer weniger darüber berichtet wird: Die Korruptionsaffäre, Stichwort Eva Kaili. Das verrottete Gesundheitssystem. Das kaputte Schulsystem. Die deutschen Männerfußball-Helden werden wahrscheinlich auch nach anderthalb Jahren erneutem Hansi-Flick-Werk nicht Europameister. Selbst wenn sich die vier weißhaarigen alten Männer, die auch mal Kicker waren, für teures Geld dazu verpflichtet haben, das doch zu schaffen.

Jeder neue Tag bringt etwas ans Licht, was geradezu nach Satire schreit. Tut mir leid, es ist einfach zu viel. Vorgestern las ich in der SZ unter der Überschrift „Supermärkte und Discounter neppen ihre Kunden“. Gestern kam ans Tageslicht, wie sich die deutschen Laborärzte mit Geschick und Druck Millionen in ihre auch vorher nicht leeren Taschen gelenkt haben. Was aus Brasilien berichtet wird, der Sturm auf die Zentren der Demokratie… Usw.usw.usw. Das ist der Alltag. Jeden Tag. Überall. Was kann, was soll man da machen? Was kann ich da machen?

Meine Antwort, wieder einmal: ich kann auch nur NICHTS machen. Leider.

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*) Es würde zu weit führen zu erzählen, was der aufrechte linke Sozialdemokrat Sigmar Gabriel (sich) alles leistet; wen es interessiert, kann es bei Wikipedia nachlesen, unter dem Abschnitt Tätigkeiten nach seinem Ausscheiden als Bundesaußenminister (seit 2018)