Wenn eine Nachricht - Menschen mit aktuellen Updates im Hirn reden nur noch von "News" - besonderes Gewicht haben soll, wird sie abgefedert durch die Hinzuziehung eines Experten. Zum Glück für alle, die im News-Biz ("business"!) tätig sind, gibt es Experten für nahezu jedes Thema, von der besorgniserregenden Erschöpfung des gegenwärtigen zweithöchsten Papstberaters bis zu den äußerst interessanten Entwicklungen auf dem Gebiet der Stallhasenernährung. Gut. Aber manchem Zeitgenossen - und vielen Zeitgenossinnen - kommt gewiss irgendwann die Frage: wie wird man Experte? So wie jemand Raucher wird? Oder Verfassungsrichter? Oder - ganz aktuell - "Gefährder"? Drängende Fragen, die auf weiterhin vorhandenes Interesse an Vergangenheit, Gegenwart und vor allem Zukunft hindeuten. Hier der Versuch einer Antwort. Einer kurzen Antwort, nicht aber dieser oft gehörten, simplen Antwort: Na, ein Experte ist halt ein Experte, ganz einfach. Schon gleich hier sei's gesagt: um Experte oder Expertin zu werden, braucht es kein abgeschlossenes Hochschulstudium mit anschließender Promotion und Ernennung zum Professor; auch wenn das natürlich sehr hilfreich ist. Nein, normalerweise genügt es zu sagen: ich habe irgendwie Spaß an dem Thema, ich habe schon 17 Artikel im Internet und zwei Bücher dazu gelesen, und ich habe sieben Mal für eine News-Gewichtung in Print, Sound oder Video als Experte zur Verfügung gestanden. Manchmal genügt es sogar zu erklären: ich weiß gar nicht, was Sie wollen, ich bin Experte, aber hallo, na klar, und wie! Machen Sie sich doch auch mal das Vergnügen, einen soeben vorgestellten Experten in eines dieser drei Kästchen einzuordnen. Eine News gewinnt, wie gesagt, gewaltig durch die Worte eines Experten. Sie wird nicht nur im Detail bestätigt, sondern ausgeweitet und quasi unangreifbar gemacht. Besonders wenn der Mensch, aus dem die Worte strömen ganz ruhig und gelassen redet und auch noch aussieht wie der Pfarrer in Ihrer Kirche oder ein Angeklagter vor Gericht, die beide ja bekanntlich immer nur die Wahrheit und nichts als de Wahrheit sagen. Nein! Was fällt Ihnen ein! (An diesem "Sie" und "Ihre" ist übrigens zu erkennen - was ich gar nicht verberge, weil es eh unschwer erkennbar ist - dass ich aus dem Mittelalter stamme; heute ist "du", "ihr", "euch" usw. angesagt bei modernen jungen Menschen). Also: was fällt Ihnen ein! Die Aussage eines Experten anzuzweifeln, zu hinterfragen, gar nachzuprüfen (d.h. "nachzuchecken") ist unverschämt. Es stellt nicht nur den Experten ganz schlecht dar; auch der oder die ihn Befragende hat auf einmal den Scheffel auf dem Licht, welches leuchten zu lassen er/sie sich vorgenommen hatte! Das bisher Gesagte gilt seit kurzem auch für die wunderbare Neuentwicklung auf dem Gebiet des Nachrichtenwesens, die "Fake-News" und die "alternativen Fakten". Sogar noch mehr! Solche Informationen werden sozusagen geheiligt oder geheilt und somit zu richtigen News oder Fakten. Menschen, die nicht viel Zeit und Ahnung davon haben, können solche Aussagen gar nicht nachchecken. Und sie glauben sie umso bereitwilliger, je sympathischer ihnen ist, wer sie äußert. Aber auch Gutwilligen kommen wohl schon mal Zweifel: ist dieses Islamterroristen-Attentat von Bowling Green vielleicht doch passiert? Die Expertin Kellyanne Conway ist schließlich so expertiös wie nur was, eine gut aussehende Frau, die erste Beraterin des mächtigsten Mannes der Welt. Ebenso vertrauenswürdig wie Steve Bannon - den kennen Sie ja bestimmt schon. Eine bemerkenswerte Spezialform der Experten sind die Poly-Experten. Also Menschen, die in mehreren Bereichen Experten sind. Nur ein Beispiel zur Verdeutlichung: ein Experte für Wirtschaftsfragen, welcher ganz schnell auch Experte für die Außenpolitik ist. Und ein Kanzler/eine Kanzlerin ist sowieso qua Job Experte/in für alle Bereiche der Politik. Ebenfalls bemerkenswert ist die massive Zunahme der Experten, also deren Zahl natürlich. Experten gab es immer. Inzwischen aber - wie schon am Beginn dieser Überlegungen festgestellt - gibt es sie nicht nur für alle Bereiche und Themen. Es gibt für jeden Bereich und jedes Thema gleich mehrere Experten. Das ist ganz wichtig. Alle, die einen Experten als Unterstützung beiziehen wollen, brauchen schließlich einen, der in ihrem Sinn aussagt, politisch, weltanschaulich, kulturell usw. usw. Manchmal geht der Plan, die eigene, womöglich ein bisschen wackelige Aussage zu stützen, auch schief. Hier zum Abschluss ein Beispiel. Auch ich bin ja Experte. Und ich wurde eines schönen Tages von einem sehr bekannten Öffentlich-Rechtlichen zu einem Interview gebeten. ÖR: (nach der üblichen Anmoderation) Herr Frank, Sie sind - und deswegen haben wir (wir!!) Sie hierher gebeten - Sie sind Experte. Wofür? Ich: Für NICHTS. ÖR: Genau. Ein äußerst interessantes und wichtiges Gebiet, weil... (er stutzt) äh, äh, was haben Sie eben gesagt? Ich: NICHTS. ÖR: (lacht gezwungen) Haha, ja, eben. Ein bisschen Spaß muss sein! Sonst ist unser Job doch allzu dröge, hahaha! - (wieder ernst) Nun also: worin haben Sie sich zum Experten geformt? Ich: In NICHTS. ÖR: (übergeht das) Herr Frank, Sie haben gerade jüngst einige bemerkenswerte Artikel verfasst, für eine Internet-Publikation, genauer: für... für... Ich: Für NICHTS. ÖR: (resigniert) Na meinetwegen. Im Vorgespräch haben Sie mir gesagt, das habe Sie zunehmend interessiert, dieses Gebiet, dieses Thema, und Sie würden bzw. Sie seien fest entschlossen, da weiter zu forschen, für... wie gesagt, für... Ich: NICHTS. Aber das ist doch auch für mich ganz interessant! Darf ich mal Sie etwas fragen? ÖR: Bitte. Ich: Was bekomme ich eigentlich für meinen ganzen Aufwand? Die Vorbereitung für dieses Interview, die Anreise, meine kenntnisreichen Aussagen als Experte in meinem Spezialgebiet? Also: was kommt da raus für mich? ÖR: (empört) Na hörnsiemal! Wo denken Sie denn hin!? Wir Öffentlich-Rechtlichen müssen sehr sehr sparsam sein. Was da rauskommt? Nichts natürlich! Nichts! Das Interview wurde übrigens nicht gesendet. Bedauerlicherweise.