Ganz im Ernst, mir reicht es. Dass ich (schon wieder!) Partei ergreifen muss für Angela Merkel. Von allen Seiten, von links und rechts, von oben und unten, von vorn und von hinten kommen die Reaktionen, mit Bosheit, voller Empörung, mit Spott und Satire, auf ihre einfache Feststellung, es gebe zu viele „Öffnungsdiskussionsorgien“.
Ja aber das stimmt doch! Seit einiger Zeit wird – ebenfalls von links und rechts, von oben und unten, von allen Seiten – diskutiert, wann endlich oder warum noch nicht, wie weit oder mit welchen Einschränkungen, in welchem Bundesland oder gleich im Bund überhaupt endlich wieder etwas geöffnet wird. Wann es ein Schrittchen vorwärts zum Zurück geben darf, muss, soll, kann. Was sind das denn anderes als „gemeinschaftliche Handlungen, mit denen bewusst gegen die Sitten verstoßen wird“? Und genau das definiert Wikipedia als „Orgie“. Gut, ja, da wird hinzugefügt, „insbesondere gegen die sexuellen Sitten“. Aber was zurzeit flächendeckend geboten wird, ist doch wirklich irgendwie genau so obszön, oder nicht? Was sind denn diese ganzen Talkshows zum Thema viel anderes als „Öffnungsdiskussionsgruppensex“? Oder so manches, was mehr oder weniger bedeutende Interviewte von sich geben, in Nachrichtensendungen, Magazinen oder Zeitungen, als „Öffnungsdiskussions-Selbstbefriedigung“ zu bezeichnen, ist das so völlig daneben? Wirklich, all diese Schweinereien müssen nicht sein.
Nein, es ist schon nachvollziehbar, was und warum das Angela Merkel so anwidert. Viel lieber hätte sie es natürlich, dass endlich oft genug gesagt wird, wir lebten in einer „neuen Normalität“. Wie interessant! Wie aufregend! Wie schön! Und von so manchem, zumal in politischen Kreisen, herzlich begrüßt!
Neu normal – das heißt: Masken tragen, bald vielleicht auch noch im Bett, zumal wenn nicht allein. Normal endlich auch: nicht mehr diese peinliche Form von Begrüßung wie z.B. in Italien. Statt einer linkischen Umarmung und Küsschen-rechts-Küsschen-links ab jetzt diese männlich-kraftvolle Geste Ellenbogen-an-Ellenbogen. Im Fußball Geisterspiele vor leeren Tribünen statt diesem geistlosen Gekicke vor Menschen, die wahnsinnige Eintrittspreise gezahlt haben. Alles neue Normalität. Homeoffice und Homeschooling. Da haut dann endlich der immer anwesende Herr im Haus mal auf den Tisch oder sonstwohin. Balkon-Urlaub. Und für manche Politiker (und nicht nur für die) endlich vernünftige Auslegung von Verordnungen, lockere Auslegung von Gesetzen bis hin zum Verzicht auf überflüssige Artikel im Grundgesetz. Auch die Polizisten müssen sich nicht mehr dauernd fragen, ob das, was sie gerade tun, vielleicht nicht so ganz korrekt ist. Was sie treiben, ist immer korrekt!
Schöne neue Normalität. Dank Corona haben wir das ja schon. Was brauchen wir da denn noch Öffnungen. Oder Diskussionen darüber. Schon gar keine diesbezüglichen Orgien. Da hat Angela Merkel völlig Recht. So wie bei ihrem anderen zeitlos gewordenen Satz: Das schafft uns… äh, nein, sorry: Wir schaffen das.
Perfekt! Besser kann man das gar nicht kommentieren. Wir Älteren können uns der „neuen Normalität“ noch recht unbeeindruckt fügen, denn wer vor Corona nicht ins Kino gegangen ist, geht jetzt bewußt nicht ins Kino! Jedenfalls belasten die Beschränkungen, und ich lebe ja in Bayern, mich nicht so stark wie die Jugend mit Tatendrang. …aber vielleicht ist es grade bei den Jüngeren eine unwilkürliche Disziplinarmaßnahme mit eventuellem Nachhaltigkeitscharakter. Schon meine Generationhatte hat wenig kritische Zeiten kennengelernt. Ich denke, es tut allen gut mal ohne „Diskussionsorgien“ selber zu reflektieren , was vielleicht falsch war in den letzten Jahren im menschlichen Menschsein!
Ich wünsche euch, dass ihr gesund bleibt und liebe Grüße auch an Ingelies.
Marianne
Ja, seit 1942 hieß es schon mal:
Vorwärts, wir müssen zurück.
Ist doch elegant, den status ante quo
dann „neue Normalität“ zu nennen.
Wer hat die Definitionshoheit?
Tja, aber bitte nicht vergessen:
„Das Verdummungsverbot“ wird nicht aufgehoben!
Gut wühl und Grüße
vom Maulwurf
(Ulrich Straeter, Essen)
http://www.straeter-kunst.de
Lieber Ekkes,
ich gehe mit Dir d’accord (so heisst das glaube ich auf Neu-Hochdeutsch).
Interessant an dem Bild mit den helfenden Polizisten sind auch die gaffenden und fotografierenden Passanten – wie auf den bundesdeutschen Autobahnen halt.
Was sagt denn der Jurist dazu? Darf man äh hilfeleistende Polizisten fotografieren?
Trost von Karl Valentin:
Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist.
Lieber Ekkes,
wunderbar und vielen Dank dafür, dass Du es noch nicht aufgegeben hast, die irgendwie nie besser werdenden Zeiten unter Deine satirische Lupe zu nehmen! Man traut seinen Wahrnehmungen kaum noch und wenn man ihnen traut, üben sie ein Druckgefühl im Bauch aus, das sich Dank Deiner Kommentare ansatzweise verflüchtigt, also man kann zumindest wieder atmen… Pass weiter auf Dich auf und
ganz herzliche Grüße